Mental Power und Mental Load - was hat das eine mit dem anderen zu tun?

18.08.2021

Die Projektgruppe "aging for future" der Healthcare Frauen beschäftigt sich aktuell im mit Mental Power und in diesem Zusammenhang mit dem Phänomen Mental Load. Mental Load - die Überlastung durch die Organisation von unsichtbaren Denkaufgaben im (Arbeits)Alltag - ist ein Baustein, der im Zusammenhang mit mentaler Gesundheit eine wichtige Rolle spielt und die eigene mentale Kraft schwächen kann.
Wir haben mit vier erfolgreichen Führungsfrauen aus dem Netzwerk der Healthcare Frauen über Mental Load gesprochen und unterschiedliche Blickwinkel auf das Thema kennengelernt. Einen wesentlichen Aspekt haben alle vier Frauen genannt: wer sich mental überlastet fühlt braucht Strategien. Wie man sich Strategien erarbeitet und wie sie aussehen können, darüber sprechen wir mit Dr. Dagmar Engels, Geschäftsführerin von DAP Networks GmbH, Susanne Jurasovic, Inhaberin bei Lüdke + Döbele GmbH, Daniela Schanz, Mitglied der Geschäftsleitung bei axicorp Pharma GmbH und Dr. Angelika Weinländer-Mölders, General Manager DACH-Nordics bei Fagron GmbH.
Mental Load - eine Form der Überlastung, die die Mentale Power schwächt und sich langfristig negativ auf das Berufsleben auswirken kann.
Meist sind es Frauen, die sich von der Last der unsichtbaren Denkarbeit, Mental Load überfordert fühlen. Dabei tritt dieses Phänomen keineswegs ausschließlich im privaten Umfeld auf. Es kann im beruflichen Kontext ebenfalls in Erscheinung treten: wenn man sich von zu vielen Denkaufgaben erdrückt fühlt, die kein sichtbares Ergebnis hervorbringen.
Wir wollten wissen: Was können Frauen aus dem Netzwerk der Healthcare Frauen zum Thema Mental Load berichten? Wie machen sich Auswirkungen von Mental Load konkret bemerkbar? Und: Welche präventiven Strategien gibt es, um Mental Load erfolgreich entgegen zu treten?

"aging for future-Team"
Habt Ihr während der Corona-Pandemie beobachtet, dass Mental Load bei Euch selbst oder in Eurem direkten Arbeitsumfeld aufgetreten ist?
Wie machen sich die Belastungen konkret bemerkbar?


Dr. Dagmar Engels: Ja, definitiv habe ich dieses Phänomen beobachtet! Ich selbst kann zur Zeit abends oft nicht konkret formulieren, womit ich mich den ganzen Tag beschäftigt habe. Von vielen Themen, die tagsüber auf meinem Schreibtisch landen, weiß ich morgens noch nichts. Seit Corona stelle ich fest, dass viele Menschen durch die veränderten und gestiegenen Belastungen und Anforderungen, die die Krise mit sich bringen, dünnhäutiger und gereizter sind, mir geht es da nicht anders. Manchmal habe ich ein Bild von mir als Artistin im Kopf, die mit zu vielen Tellern jongliert: Wenn jetzt noch einer dazukommt, dann bricht alles zusammen.
Auch meine Mitarbeiter*innen sind seit der Krise gestresster: Sie haben sich plötzlich für ihre Arbeit im Home Office gerechtfertigt und hatten Angst, dass Ihre Leistung übersehen wird. Ich als Führungskraft muss in dieser Situation Sicherheit und ein positives Mindset im Sinne von "Wir schaffen das!" vermitteln. Dieses Mindset konstant zu aufrechtzuerhalten ist mit mentaler Last verbunden. Dafür brauche ich Bewältigungsstrategien.

Daniela Schanz: Ich beobachte ganz ähnlich wie Dagmar unterschiedliche Auswirkungen des Überlastetseins bei meinen Mitarbeiter*innen: Um den Draht zu ihnen nicht zu verlieren, habe ich ein Ritual eingeführt: Ich frage meine Direct Reporters regelmäßig, wie es ihnen persönlich geht. Zu Beginn haben Viele unter Hochdruck berichtet, woran sie gerade arbeiten. Ich musste erst erklären, dass ich mich nicht nach ihrer Arbeit, sondern nach ihrem Wohlbefinden erkundigen möchte. Die Frage "Wie geht´s Dir denn gerade?" hat Viele zunächst verunsichert aber am Ende gut getan und sie fühlten sich von mir wertgeschätzt. Die Auslöser für die Belastungen sind dabei sehr unterschiedlich: In meinem Umfeld spielt gerade bei Singles das Thema Einsamkeit eine große Rolle: Die Arbeit ohne Kolleg*innen im Home Office, das Abgeschnitten sein von Freund*innen und Familie, damit kommen Viele nicht zurecht, sie vereinsamen sprichwörtlich. Wenn in diesen einsamen Phasen noch hinzukommt, dass die Menschen die Last ihrer beruflichen und privaten Denkaufgaben nicht teilen können, ist eine Überlastung durch Mental Load vorprogrammiert.
Auch für mich waren die auferlegten Kontaktbeschränkungen schwer zu ertragen: Enge Freundschaften, deep talks und das "einfach nur zusammen sein" sind für mich extrem wichtig. Diese Kraftquelle fiel plötzlich weg. Ich musste von heute auf morgen nach neuen Kraftquellen suchen: Das sind lange Spaziergänge im Wald mit meinem Hund, täglliche Sporteinheiten und bewusstes Abschalten von Energieräubern wie den sozialen Medien, in denen ich übrigens auch ein großes Suchtpotenzial sehe, weil sie einen Ersatz an sozialen Kontakten und Austausch suggerieren.

Susanne Jurasovic: Mir begegnet das Thema Mental Load in der Beratung unserer Kunden, aber auch im eigenen Unternehmen. Aktuell ist es sicherlich vermehrt im familiären Kontext zu beobachten. Dort, wo berufstätige Eltern seit mehr als einem Jahr Home-Office, Home-Schooling und/oder die Versorgung pflegebedürftiger Eltern gleichzeitig händeln müssen. Oft sind es die Frauen, die neben dem Job den Großteil der Care-Arbeit zuhause übernehmen und von der Last unsichtbarer Denkaufgaben betroffen sind. Wer hier die Denklast für die anfallenden Aufgaben und die To Dos nicht mit anderen Menschen teilen kann, dem droht die Überlastung durch Mental Load.
Bedenklich finde ich, dass nicht wenige Frauen wegen der gestiegenen und vielschichtigen Belastungen beruflich kürzer treten. Das ist ein Schritt rückwärts in puncto Gleichberechtigung und hat gravierende langfristige Auswirkungen: Frauen reduzieren ihre Arbeitszeiten, verdienen weniger, verzichten auf Karriere und müssen im Alter mit einer geringeren Rente auskommen.
In vielen Unternehmen beobachte ich, dass die Widerstände größer werden und Prozesse zunehmend haken. Es macht sich ein destruktives Mindset breit, das Mental Load noch befeuert. Ein positives Mindset, eine spürbar positive innere Haltung, ist für mich elementar für eine starke Mental Power. Das Mindset lenkt alles, am Mindset müssen wir arbeiten, um mental stark aufgestellt zu sein und Mental Load gar nicht erst entstehen zu lassen!
 
Dr. Angelika Weinländer-Mölders: Mich persönlich betrifft eine Überlastung durch Mental Load glücklicherweise nicht, in unseren Teams beobachte ich allerdings schon Anzeichen von Überlastung. Selbst bei den stressresistenten Mitarbeiter*innen, die mit einem großen Pensum an Arbeit immer gut zurecht gekommen sind, stelle ich fest, dass sie die Arbeit plötzlich als Belastung und die Kollegen als Stressoren wahrnehmen. Wenn ich mir Männer und Frauen in Überlastungssituationen ansehe, beobachte ich einen Unterschied im Handling mit der Überlastung: Frauen versuchen, die Dinge länger alleine mit sich auszumachen und vertreten den Glaubenssatz "Ich muss das alleine schaffen". Männer hingegen lassen Belastungen oft nicht so nah an sich ran und sind emotional abgeklärter. Letztlich ist aber wichtig, die Überlastung zu sehen und nach Lösungswegen zu suchen.

"aging for future-Team"
Vielen Dank für die tiefen Einblicke und Schilderungen über eure persönlichen Berührungspunkte mit Mental Load. Ihr habt angesprochen, dass man nur mit erfolgreichen Strategien Wege aus der Überlastung finden kann. Welche Tipps und Strategien könnt Ihr Betroffenen an die Hand geben?


Dr. Angelika Weinländer-Mölders: Wer sich überlastet fühlt, dem rate ich zunächst, sich einen Überblick zu verschaffen. Dabei hilft eine Bestandsaufnahme aller Aufgaben inklusive der Einschätzung des zeitlichen Aufwands. Das kann man für private ebenso wie für berufliche Themen machen. Es hilft auch, seine*n Vorgesetzte*n auf Prioritäten anzusprechen. Bei mir kommt es gut an, wenn Mitarbeiter*innen das tun, ich werte das als Zeichen der Stärke. Für meine eigene Mental Power spielt mein Partner, der mich unterstützt, eine sehr wichtige Rolle. Mit ihm kann ich über Stressoren sprechen. Durch das Sprechen über Belastungen werden sie sichtbar, und man kann gemeinsam an Bewältigungsstrategien arbeiten. Man sollte sich nicht scheuen, Belastungen immer auf mehrere Schultern zu verteilen: Auf Schultern eines unterstützenden Partners, einer Freund*in und auch eines guten Teams im Unternehmen.
Daniela Schanz: Bei axicorp nehmen wir das Problem durch Überlastung bei unseren Mitarbeiter*innen sehr ernst. Wir bieten unseren Führungskräften z.B. ein Seminar an, das sie dazu befähigen soll, Mental Load Situationen in den Teams zu erkennen und aktiv entgegen zu wirken. Ich persönlich habe mehrere Strategien im Umgang mit Überlastungssituationen:

•   Wenn Du den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr siehst, geh ein paar Schritte zurück und betrachte die Situation mit etwas Distanz.
•   Lerne "Nein" zu sagen, wenn Grenzen erreicht sind.
•   Nimm Dir kleine Auszeiten, um wieder zu Dir selbst zu finden und Kraft zu tanken.
•   Hole Ratschläge und Feedback ein, um einer Belastungssituation nicht ohnmächtig ausgeliefert zu bleiben.
•   Tu etwas für Körper, Geist und Seele! Sport, Meditation, Natur oder Musik. Das gibt neue Kraft, die Du an anderer Stelle wieder einsetzen kannst.

Susanne Jurasovic: Aus meiner Sicht können Unternehmen einen Mix aus unterschiedlichen Angeboten für ihre Mitarbeiter*innen anbieten, um Mental Load in Mental Power zu überführen.

•   Resilienztrainings, in denen man sich die Kompetenz aneignet, Widerstände und Kritik nicht persönlich zu nehmen und auszuhalten.
•   Fortbildungsangebote zur Entwicklung von Lösungskompetenzen.
•   Sportkurse wie Yoga- oder Fitnessstunden im Unternehmen.
Jede*r selbst kann aber auch etwas für die eigene Mental Power und gegen Mental Load tun:
•   Lerne, los zu lassen!
Besonders Frauen tun sich noch immer schwer, Aufgaben im familiären Kontext an ihre Partner zu delegieren und mit der "anderen Art" der Aufgabenbewältigung zufrieden zu sein.
•   Werde selbst aktiv:
Unterbreite Deinem Unternehmen Vorschläge für Unterstützungsleistungen.

Dr. Dagmar Engels: Für mich ist seit Corona die Kommunikation mit den Mitarbeiter*innen noch wichtiger geworden, ich handhabe es ähnlich wie Daniela: ich telefoniere sehr viel mit den Kolleg*innen und versuche, jeden Anlass für ein persönliches Gespräch zu nutzen. Dieser Invest kostet mich Zeit, manchmal auch Kraft und hat oft kein sichtbares Ergebnis. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass sich mein "unsichtbares Kümmern" auszahlt. Es ist eine Investition in das wichtigste Gut, das wir als Unternehmen haben - unser Team!
Wenn ich mich selbst in belastenden Situationen befinde, habe ich unterschiedliche Strategien.


•   Sorgen und Probleme erkenne ich an, sie sind normal und gehören dazu.
•   Ich bleibe gelassen und lasse mich nicht drängen:
Die wenigsten Fragen erfordern eine unmittelbare Antwort.
•   Ich tausche mich aus:
Jedes Wochenende telefoniere ich mit einer engen Freundin. Sie ist ein guter Spiegel, gibt mir Tipps von außen und hat andere inspirierende Ansätze der Problemlösung.
•   Nutze Dein Netzwerk, privat und beruflich!

Das Netzwerk der Healthcare Frauen ist mir eine große Unterstützung. Dort treffe ich auf Frauen, die meine Situation mit all den Herausforderungen aus dem Arbeitsalltag genau kennen und ähnliche Erfahrungen machen wie ich. Hier kann ich mich in einem geschützten Raum austauschen und mir wertvollen Rat holen. Hier habe ich gelernt: ich muss nicht alles alleine können, vieles geht leichter im Team: mit Partner*in, Freund*in, Kolleg*innen und dem Netzwerk der Healthcare Frauen!


"aging for future-Team"
Vielen Dank für die bereichernden Gespräche und wertvollen Tipps im Umgang mit Überlastungssituationen. Wir nehmen aus dem Gespräch mit: Langfristig können wir unsere eigene mentale Kraft stärken, wenn wir Anzeichen von Überlastung frühzeitig erkennen, wenn wir Wege aus der Überlastung suchen und gehen. Eure Antworten können allen Betroffenen Mut machen. Überlastung muss kein Schamgefühl verursachen, Jede*r kann davon betroffen sein. Der Weg aus der Überlastung führt über Strategien, ein unterstützendes Umfeld und ganz individuell gestalteten Ausgleich.


Die Gespräche führten Kristin Beyer und Judith Kärtner für die Projektgruppe "aging for future" der Healthcare Frauen.