Gastbeitrag von HCF-Mitglied Dr. Heike Niermann

03.04.2021

Letztes Jahr im März erwachte in mir der Drang Gemüse anzubauen. Wie angeflogen!

Bislang hatte ich einem kleinen Garten und einem Innenhof nur Blumen und Sträucher. Diese hatten mich jahrelang erfreut und ich hatte im Bereich Stauden alles Mögliche ausprobiert. Dabei wurde der Garten barrierefrei und insektenfreundlich gestaltet. Nie zuvor, auch weil der Platz so begrenzt war, kam mir der Gedanke „wertvollen“ Blühplatz an zum Beispiel an Zucchini zu vergeben.

Der erste Lockdown mit Unsicherheiten und begrenzten Möglichkeiten brachte mir meine Großeltern in Erinnerung. Diese hatten mit klassischen Nutzgärten ihre Familien ernährt und Obst und Gemüse in großen Flächen angebaut. Ich hatte den unbezähmbaren Wunsch selbst etwas Essbares anzubauen, Zeit in der Natur zu Verbringen und zu gestalten.

Damit war ich nicht allein! In meiner Umgebung, in sozialen Medien überall waren auf einmal Erstgemüseanbauer*innen. Für Schrebergärten gab es lange Wartelisten und in den Städten wuchsen auf einmal auf vielen bislang freien Balkonen, Tomaten, Kartoffeln und vieles mehr.

Bei meinem begrenzten Platz war die einzige Möglichkeit ebenfalls in Töpfen anzubauen und meine versiegelten Flächen zu nutzen. Neben dem Wunsch zu einem kleinen Teil „Selbstversorgerin“ zu werden, war mir auch wichtig Vorhandendes upzucyclen und möglichst viele lokale Ressourcen zu nutzen. Auch hier war ich selbstverständlich nicht allein. Viel mehr Menschen als zuvor machen sich seit diesem belastenden und erschöpfenden Jahr auch vermehrt Gedanken um unseren Planeten und wie wir zukünftig leben wollen.

Ich suchte also jeden Topf, jede Kiste, Körbe, Joghurtbecher und was ich sonst noch fand und funktionierte diese um. Ich machte, wenn nötig, Löcher in die Böden, baute Sockel, machte aus Plastikabdeckungen Minigewächshausabdeckungen. Beim Pflanzen- und Samenkauf habe ich mich dann so verschätzt, dass noch viele weitere Gefäße gefunden werden mussten.

Erste Ernte

Was für ein wahnsinniges Glücksgefühl! Meine erste Ernte waren Radieschen. Es ist für mich wie ein Wunder, wie in so kurzer Zeit aus winzigen Samenkörnern erntereife Pflanzen werden. Sie schmeckten hervorragend, wobei die größeren schön mild und die kleinen sehr scharf waren. Wir haben die erste Ernte sofort roh verzehrt und ich habe neue Radieschen ausgesät. In dem alten Korb haben sie sich offensichtlich sehr wohl gefühlt.

So ging es dann den Sommer über weiter: Rote Beete (eine wunderbare Sorte, die innen rot-weiß geringelt ist wie ein Lolli), mehrere Sorten Tomaten und Kartoffeln, Kohlrabi, Rosenkohl, Pflücksalate, Gurken, Auberginen, Buschbohnen, Zwiebeln, Kräuter und essbare Blüten.

Unser Nachbarsjunge hatte inzwischen auch mit dem Katoffel-Anbau im Topf begonnen und wir zeigten uns stolz die jeweiligen Exemplare.

Ich will nicht verschweigen, dass auch mal etwas nicht funktioniert hat. Mein Wassermelonen- Experiment war der totale Reinfall. Obwohl ich diesen ein schönes kleines Gewächshaus gebastelt hatte, sind die Pflanzen über 20 cm nie hinausgekommen. Auch eine schwarze Rettich-Art ist nur in die Höhe geschossen und hatte nie eine nennenswerte Wurzel ausgebildet.

Kompost und Düngen

Mich hatte das Nutzgartenfieber so im Griff, dass ich immer mehr zu lesen begann und anfing mich mehr mit Permakultur und generell ökologischer Landwirtschaft auseinanderzusetzen. Ich konnte mir nicht vorstellen mein eigenes Gemüse mit dem Dünger zu essen, den ich, zwar selten, aber doch zuvor bei meinen Blumen eingesetzt hatte.

Für einen Komposthaufen, bzw. mehrere habe ich in meinem kleinen Garten keinen Platz und ich brauchte ja auch jetzt schon Nähstoffe für mein Gemüse und nicht erst im nächsten Jahr. Ich las über Wurmkisten und Brennesse-Jauche.

Letztendlich hat sich für mich herausgestellt, dass auf kleiner Fläche, es auch noch andere Möglichkeiten gibt, den organischen Abfall aus der Küche sinnvoll zu nutzen und dem Kreislauf wieder zuzuführen. Ich startete mit meinem ersten Bokashi-Eimer. Bokashi ist eine japanische Methode organische Abfälle zu fermentieren. Das Ergebnis kann man vererden. Das Beste ist aber, dass während des Entstehungsprozesses ein sogenannter „Bokashi-Tee“ entsteht. Alle 2-3 Tage kann ich an einem kleinen Hahn Flüssigkeit abzapfen. Diese sind dann 1:10 oder 1:20 mit dem Gießwasser vermischt eine tolle Nährstoffzugabe für alle hungrigen Gemüsepflanzen.
Bis zum Herbst hatte mich dann aber die Leidenschaft noch weiter gepackt. Der Gedanke meinen Pflanzen und Strauchschnitt nicht auch sinnvoll verwenden zu können, gefiel mir gar nicht, Also trennte ich mich schweren Herzens von einem Maienstrauch und habe an dieser Stelle einen 3- Kammer-Komposter aufgestellt, der nicht so viel Platz braucht.

Mulchen und soziales Miteinander

Da unsere Sommer immer heißer werden und ein Anbau im Topf wesentlich mehr Gießwasser braucht als der normale Garten, hatte ich auch immer mehr Fragen zum Thema Wassermanagement. Wir sammeln schon über 10 Jahre in 3 IBC-Tanks insgesamt 3000 Liter Regenwasser. Dies dann (da ich kein Bewässerungssystem habe) auszubringen, kostet aber viel Kraft und in manchen Jahren reicht die Menge auch nicht aus. Also mulchen. Bislang hatte ich im Garten Rindenmulch verwandt. Ich weiß aber auch hier nicht, was in der herkömmlichen Ware so alles drin ist. Zugleich soll Rindenmulch den Boden sauer machen und das mögen die Gemüsepflanzen auch eher nicht. Ich begann meine Nachbarn zu fragen, ob ich ihren Grasschnitt haben könnte, den diese sonst mühevoll zum Recyclinghof gefahren hätten. Überhaupt ergaben sich mit den neuen Gartenthemen ganz neue, wunderbare Gespräche mit Menschen, mit denen ich bislang nicht viel gesprochen hatte. Fast Jede/r hatte eine Geschichte zu erzählen oder fragte nach einiger Zeit proaktiv, ob ich bestimmte Dinge zum Upcyclen haben wollte. Hatte ich mich immer schon gut mit meinem Nachbarsjungen verstanden, entstanden jetzt ganz neue Gemeinsamkeiten. Da die Gärten meiner befreundeten Nachbarn aber auch nicht groß sind, fällt gar nicht genug Grasschnitt an. Da tat sich überraschender Weise eine Möglichkeit auf an ungewaschene Schafswolle heranzukommen. Ich hatte davon gelesen, dass diese ein toller organischer Dünger sei und das Mehrfache ihres Gewichts an Wasser speichern kann. Für viele Schafsbesitzer lohnt es sich leider kaum noch die Wolle zu verkaufen. Ich habe inzwischen meinen gesamten Garten und alle Töpfe mit Schafswolle gemulcht und mache sehr gute Erfahrungen. An den ungewohnten Anblick musste ich mich auch erst etwas gewöhnen. Ich glaube insbesondere meine Kohlpflanzen und meine Kartoffeln haben besonders davon profitiert. Jede Saatkartoffel hatte ich mit einem kleinen „Nest“ Schafswolle versehen. Mein Mann stand der ganzen Sache eher skeptisch gegenüber und meinet, wenn ich anfangen würde den Kartoffeln Pullover zu stricken, müsste es aber aufhören. Keine Sorge: Ich kann gar nicht Stricken!

Was mache ich nur im Winter?

Mit dem Herbst und den letzten Ernten, bis auf den Rosenkohl begann dann die Wehmut. Was sollte ich den den ganzen langen, dunklen Winter machen? Ich überlegte, was ich schon für das nächste Jahr machen könnte und steckte Knoblauchzehen. Auch versuchte ich mich für den Winter an Feldsalat und Spinat, der aber keine große Ernte brachte.

Meine Gedanken kreisten immer mehr darum mehr Platz für den Anbau zu schaffen. Zwischen Werkstatt und Garage war noch ein 1,8 m breiter Streifen, der mit versiegeltem Boden und nicht gut nutzbar war. Hier ließ ich mir ein Dach aus UV-durchlässigen Platten bauen und kann jetzt (es ist immer noch kälter, als ein normales Gewächshaus) die Saison etwas verlängern und meine Kübelpflanzen besser durch den Winter bringen.

Mir war klar, dass mir im nächsten Jahr die Töpfe allein nicht mehr ausreichen würden. Ich wollte in meiner Nähe ganz verschiedene Sachen anbauen, mehrere Kartoffelsorten, blaue und rote und vieles mehr.
Ich hatte während des Sommers schon nach Schrebergärten oder einem Platz im städtischen Gemeinschaftsgarten gesucht – vergeblich, es gibt lange Wartelisten. Dann hatte ich die Idee bei vorrübergehend ungenutzten Flächen (Bauland in ein paar Jahren zum Beispiel) nachzufragen, ob ich 1 – 5 Jahre Zwischenmieten könnte. Oder ob ich einen Landwirt fände, der mir 100 m2 vermietet. Leider gibt es in unserer Region noch keine solidarische Landwirtschaft oder ein organisiertes Mietflächenkonzept bei Landwirten. Dies wäre eine echte Alternative gewesen. Auch mit meinen Nachforschungen kam ich wieder mit vielen Menschen in Kontakt. Ich fragte quasi jede Person, der ich begegnete, ob beim Bäcker oder in der Autowerkstatt, ob sie nicht eine Fläche für mich wüssten.

Im Dezember und Januar habe ich das draußen sein und die Gartenarbeit furchtbar vermisst. Ich intensivierte meine Recherchen und macht 2 Einsteiger-Online Kurse zum Thema Permakultur. Mein Bruder, der sich auch sehr für Selbstanbau interessiert und weiter weg mehr Fläche hat, ermöglichte mir dann mit ihm eine 11 Meter langes Beet für den Frühjahr vorzubereiten.

Dieses Jahr

Ich bestellte, ohne weiteres Land in Aussicht zu haben, Unmengen von Saatkartoffeln, Beerensträucher, weitere Pflanzen und Samen im Januar. Auf die Fragen, wo ich denn damit nur hinwolle, hatte ich keine Ahnung, war aber sicher, dass sich irgendetwas finden würde. Im März habe ich dann, durch weiteres Fragen, zwei alte, ehemalige verwilderte und vermüllte Schrebergartenflächen anmieten können. Zugegeben ist es etwas mit mir durchgegangen. Mein ursprünglicher Wunsch waren 100 m2. Jetzt habe ich 500 m2! Das Geländer muss jetzt erst einmal von Müll befreit werden und Beete angelegt werden. Ich finde es unglaublich befriedigend zurzeit diese Stück Land vom Müll zu befreien. Auf dem Gelände gibt es auch alte Bäume und schon Hecken, die ich weiterhin den Tieren überlasse. Es gibt Platz für Kompost, Totholzecken und alle Experimente, die mir so einfallen. Als erstes plane ich ein Milpa Beet, auch die 3 Schwestern genannt. Mais, Bohnen und Kürbis. Der Mais ist zugleich die Rank Hilfe für die Bohnen, Die Bohne liefert Stickstoff und der Kürbis bedeckt mit seinen großen Blättern den Boden und hält die Feuchtigkeit. Was für eine tolle Gemeinschaft.

Meine Gemeinschaft wächst auch immer weiter. Es ist wunderbar, wie viele Menschen Spaß am Mitgestalten haben und sich freuen, wenn Dinge, die sie nicht mehr brauchen, woanders noch upgecycelt werden können.

Ich bin so dankbar für diese Erfahrungen in dem letzten, wirklich nicht einfachen Jahr. Mir hat der Garten und die Beschäftigung mit der Natur sehr geholfen. Ich kann Euch nur den Tipp geben, versucht es einfach, auch wenn es nur ein Topf auf dem Balkon ist, oder Micro-Greens im Haus. Pflanzt Radieschen!

Dr. Heike Niermann

Chief Operating & Performance Officer
good healthcare group